Zenzmaier 1991

Die Grenze zur Beliebigkeit ist eine Fahrt zur Hölle

Über Zeichnen, Bildhauerei, Kunst und Leben
Von Wolfgang Richter

»Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare Anmut verbreitet war. Er mochte ungefähr in seinem sechszehnten Jahre stehn, und nur ganz von fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, dass wir gerade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguss der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick den er in deni Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch eine Entdeckung er gemacht habe. In der Tat hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte – er sähe wohl Geister! Er errötete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehn lassen, missglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst! Er war außerstand, dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen  – was sag ich? Die Bewegungen, die er machte, hatten ein so komisches Element, dass ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten.«

Was Heinrich von Kleist 1810 im Aufsatz »Über das Marionettentheater« (Reclams Universalbibliothek, Nr. 7670, 61 f.) formuliert hat, machte Josef Zenzmaier betroffen, weil es ihn betrifft: Wie kann die Frische – Kleist nennt sie Anmut und Grazie – erhalten bleiben? Der Dichter weiß auch eine Lösung: »Wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist« findet sich die Grazie wieder ein. Für Josef Zenzmaier ist in diesem Text das Wesen seines Schaffens angesprochen: etwas Gesehenes, Erfahrenes in eine Form zu bringen, die in der Bearbeitung eine Vision aufbaut und verdichtet: »dass ein Ding wirklich lebt und in der Bronze Existenz gewinnt«. Diese aufregenden Mo1nente plastisch umzusetzen gelingt seiner Meinung nach nicht durch getreues Abkonterfeien, eine derartige Form sei bloß „dumm“.

Wichtig ist ihm auch Gotthold Ephraim Lessing, der 1766 in seiner kunsttheoretischen Schrift »Laokoon« die bildende Kunst als ein Medium bezeichnet hat, welches nach einem transitorischen Denken verlangt. Eine bloße Verlängerung des Augenblicks würde den Eindruck schwächen. Einer vorübergehenden Erregung dauernden Ausdruck zu verleihen, erschiene unwahr. Es geht vielmehr ums Aufdecken einer Welt, etwas von der Zeit und dem Umraum einzu bringen. Zeitabläufe ebenso wie Zeiträume, aber auch geometrische Räume, Ereignisse also. Das ist es auch, was Zenzmaier an Michelangelo fasziniert.

Mit diesen drei Referenzen wird klar: Josef Zenzmaier ist ein Künstler, der an sich hohe Ansprüche stellt, der mit der Dimension des Historischen vertraut ist. »Lebendig ist, wenn inan was versteht« und diese Beziehung zu gestalten imstande ist.

Interview Josef Zenzmaier, 1991 (PDF)